Episoden mit Hans W.Müller

02.10.2022

Zum Gedenken an einen grossen Hundefreund

Von Annemarie Schmidt-Pfister

Wenige von uns – auch ich nicht – haben ihn privat gut gekannt. Aber die Älteren von uns – auch ich – sind ihm über die Jahre hinweg - immer wieder begegnet: auf Ausstellungen, im Ring, auf dem Körplatz, in der direkt-persönlichen Begegnung zwischen Aussteller und Richter. Und natürlich: Hund. Denn ohne Hund ging bei Hans W. Müller fast gar nichts. Stets stand der Hund im Fokus seines Interesses, und sein Urteil als Richter hatte in aller Regel mit persönlichem Geschmack wenig zu tun, sondern war durchwegs getragen von Sachkunde und unbestechlicher Ausrichtung am Massstab des Rassestandards. Nicht zuletzt schliesslich strahlte Hans W. Müller eine fast emotionslos wirkende Sachlichkeit und Nüchternheit aus. Die allerdings beruhte immer auf Interesse an der Rasse einerseits und durchaus auch auf Interesse an seinem „Prüfling“ andererseits. Hans Müllers Herz schlug stets vor allem für den Hund – ihm galt seine fachkundliche Zuwendung und durchaus auch sein persönliches Engagement. Wer ihn als Richter erlebt hat, für den verknüpft sich der Begriff des unbestechlichen Einsatzes für den Hund und dessen Belange prägend mit dem Namen von Hans W. Müller.
 
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Unvergessen ein Zwischenfall vor vielen, vielen Jahren in einem österreichischen Ring: Die Zeit war schon fortgeschritten, unser RR-Spezialrichter liess sich nichtsdestotrotz über Gebühr Zeit und forderte so unübliche Einlagen wie die Hunde auf den Hinterbeinen zu präsentieren, um mögliche weisse Abzeichen am Bauch bequemer zu erkennen. Im Nebenring richtete Hans W. Müller eine andere Rasse, hatte aber scheinbar unseren Ring – immerhin „seine“ geliebten Ridgebacks –ebenfalls im Auge. Irgendwann riss ihm angesichts der davongaloppierenden Zeit der Geduldsfaden und er schlüpfte mit einer Behändigkeit, die man dem grossen, stattlichen Mann gar nicht zugetraut hätte, unter den Banden durch und knüpfte sich unseren Richter vor. Es war eine kurze kalte Dusche, aber sie muss eiskalt gewesen sein und verfehlte, da sie von keinem Geringeren als Hans W. Müller kam, ihre Wirkung nicht. Unser Richter war mit seiner Beurteilung vor der Zeit fertig – und kein Ridgeback musste mehr auf den Hinterläufen balancieren.
 
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Wer bei Hans W. Müller mit seinem Nachwuchs-Ridgeback in der Jugendklasse startete, der musste gewahr sein, dass sein Hund nur im Ausnahmefall ein „Vorzüglich“ erhalten würde, und nur, wenn er auf dem ersten oder zweiten Platz landete. In der Jugendklasse ist ein Rhodesian Ridgeback noch längst nicht fertig, war HWM überzeugt und wollte daher auch nur selten ein abschliessendes Urteil abgeben. „Das kann noch kommen“, meinte er einmal im Gespräch mit Rosy Brook-Risse, der Grande Dame der deutschen Ridgeback-Szene, die in den Fünfzigerjahren die ersten Rhodesian Ridgebacks aus dem damaligen Rhodesien nach Deutschland brachte. Rosy hat es mir später schmunzelnd erzählt und – bei ihr keine Selbstverständlichkeit – auch gutgeheissen. Kam das „Vorzüglich“ dann in der Tat später, war Hans W. Müller der erste, der sich darüber freute.
 
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Die Schau war vorüber, die Pokale und Bändel verteilt. Überall auf dem schönen Aussengelände der Ludwigsburger Hundeausstellung standen die Aussteller und liessen das Geschehen plaudernd nochmals Revue passieren. Müde sassen oder lagen die Hunde daneben: Sie hatten ihr Bestes gegeben und ihnen waren Pokale und Bändel „wurscht“ – im Gegensatz zur echten Wurst, die sie als Belohnung bekommen hatten. Auch unsere beiden Ridgeback-Hündinnen lagen entspannt auf der Wiese – so müde, dass sie nicht einmal mehr auf einem „Deckeli“ bestanden, obwohl sie ja zur Rasse der „Deckeli-Hunde“ gehörten!
Da nähert sich - etwas versonnen bzw. vermutlich einfach ebenfalls müde - der „Herr der Ringe“, Hans W. Müller. Natürlich grüssen wir – aus Respekt und auch, weil wir ja alle „Schweizer im Ausland“ sind. Freundlich grüsst der FCI-Präsident zurück und seine Augen bleiben an unseren Hündinnen hangen. „Was für schöne Ridges!“ entfährt es ihm. Ja, in der Tat, haben sie alle beide. „So muss ein Ridge aussehen“, sinniert Hans W. Müller weiter , mehr zu sich selbst als zu uns. Und fügt hinzu: „Er ist das Markenzeichen unserer Rasse, eigentlich müsste er das Richter-Urteil zu mindestens einem Viertel beeinflussen.“ Spricht’s und geht mit einem freundlichen Nicken weiter.
Viele sehen das heute nicht mehr so, der Ridge ist für manchen zur reinen „Kosmetik“ ohne Sinn und Zweck verkommen. Zurecht? Hans W. Müller sah das, wie die Episode zeigt, anders.
 
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Am 8. September ist Hans W. Müller, Gründungs- und Ehrenpräsident des Rhodesian Ridgeback Club Schweiz, nach langer Krankheit gestorben. Wir werden ihm stets ein ehrendes Andenken bewahren und entrichten seiner Familie unser Beileid.